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Fußball als Publikumssport

Ausgangslage

Zuschauer*innen und Fans bilden das Publikum des Profifußballs – außerhalb der Stadien und in den Stadien. Vermehrt werden Zuschauer*innen und Fans als passive Begleiter des Sports, als Adressat*innen des „Produkts Profifußball“ gehandelt: Sie sollen ihn konsumieren, finanzieren, seine Entwicklung zum Produkt stillschweigend hinnehmen und ihm gleichwohl die hohe gesellschaftliche Bedeutung verleihen, die der Profifußball zweifelsfrei (noch) hat.

Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass erst Zuschauer*innen und Fans dafür sorgen, dass der Profifußball mehr ist als ein Produkt und mehr als reiner Hochleistungssport. Denn erst mit Zuschauer*innen und Fans wird der deutsche Profifußball derart einzigartig und unverwechselbar. Sie gestalten das Erlebnis, den Erfahrungsraum und die Leidenschaft mit, die ihm als Alleinstellungsmerkmale zugesprochen werden. Erst durch sie entsteht soziale Interaktion. Ohne Zuschauer*innen und Fans verliert der Profifußball seine gesellschaftliche Bedeutung. Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass Profifußball in seiner jetzigen Form überhaupt ermöglicht wird. Deshalb müssen Zuschauer*innen und Fans endlich als elementarer Bestandteil des Profifußballs anerkannt werden.

Herangehensweise

Organisierte Fans fordern, dass Zuschauer*innen und Fans als elementarer Bestandteil des Fußballs anerkannt werden! Was aber bedeutet das konkret? Wie erkennt man, wie misst man, dass Vereine und Verbände Fans als festen Bestandteil des Profifußballs anerkennen? Welche Ausgangsbasis muss dabei geschaffen werden? Welche Maßnahmen müssen ergriffen und etabliert werden?

Mit diesen Fragen hat sich unsere Arbeitsgruppe auseinandergesetzt und ist zu vier konkreten Lösungsansätzen gelangt.

Lösungsansätze

Unsere Lösungsansätze bauen aufeinander auf und stehen untereinander in Wechselwirkung. Wir haben eine Argumentationsgrundlage für ein Verständnis der Bedeutung von Profifußball als Publikumssport entwickelt. Dafür veranschaulichen wir einen Ansatz für ein umfassendes Verständnis von Fans und Zuschauer*innen sowie ihrer Bedürfnisse. Wir schließen mit zwei konkreten Empfehlungen zur Verbesserung der institutionellen Berücksichtigung von Faninteressen in Vereinen und Verbänden.

Profifußball – drei gleichwertige Bereiche

Unsere Argumentation ist geprägt von einem Verständnis des Profifußballs dreier gleichwertiger Bereiche, die in Wechselwirkung zueinander stehen:

a. Fußball als sportliche Disziplin: Der Sport an sich. Er umfasst die Ausgestaltung des Fußballspiels als Sport, z. B. die Veränderung von Regeln oder die Nutzung moderner Technologien und den gesamten sportlichen Bereich. Als sportliche Disziplin ist Fußball Freizeit-, Breiten-, oder Leistungssport. Ein sportlicher Wettbewerb, der auch dem Gelderwerb dienen kann.

b. Fußball als Publikumssport: Die sportliche Disziplin Fußball ist als Publikumssport nicht Selbstzweck reiner sportlicher Betätigung oder Sicherung des eigenen Einkommens. Er verfolgt das Ziel, Menschenmassen zu begeistern und sie zu unterhalten. Fußball wird so zu einem Sport, der für sein eigenes Publikum betrieben wird.

c. Fußball als Volkssport:  Als Volkssport verortet sich der Fußball in der Mitte der Gesellschaft. Er verweist auf seine Breitenwirkung und seine Begeisterungsfähigkeit. Er betont die integrative Kraft des Fußballs. Auf dem Platz und weit darüber hinaus. Das Verständnis als Volkssport ist Legitimation für die Omnipräsenz des (Profi-)Fußballs in Medien und Gesellschaft.

Fußball als sportliche Disziplin kann selbstverständlich ohne die Bereiche Publikumssport und Volkssport ausgeübt werden. Aber ohne Fans und Zuschauer*innen wird er nicht zu Publikums- und Volksport. Und ohne Publikums- und Volkssport kein erwerbsorientierter Fußball, wie wir ihn als Profifußball kennen.

Das heißt: Profifußball wird von der besonderen Wechselwirkung aller drei Bereiche getragen. Nur eine gleichwertige Berücksichtigung der drei Bereiche ermöglicht ein umfassendes und allen Akteuren angemessenes Verständnis von Profifußball. Folglich sollten diese Bereiche argumentativ nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden.

Da der Volkssport Fußball in besonderer Weise vom Publikumssport Fußball abhängig ist, muss der Publikumssport als logische Schlussfolgerung gestärkt werden, um den Profifußball zu erhalten.

Fans und Fankulturen

Fans und Fankulturen sind vielfältig, bunt und divers. Jede*r lebt das Fandasein unterschiedlich aus – und das ist gut so! Denn alle Zuschauer*innen- und jede Form des Fandaseins haben eine originäre Berechtigung. Für eine verbindliche Berücksichtigung von Faninteressen müssen Interessen- und Motivationslagen von Zuschauer*innen- und Fans identifiziert werden, anstatt sich wie bisher auf die Sichtweisen einzelner Teilbereiche (z. B.: Sicherheit, Marketing oder Soziale Arbeit) zu beziehen.

Wir empfehlen …

die Entwicklung eines multiperspektivischen Verständnisses von Fans und Fankulturen. Dieses muss handlungsleitende Grundlage für eine angemessene Berücksichtigung von Fans und Fankulturen in unterschiedlichen institutionalisierten Formaten werden, die den Bedürfnissen der jeweiligen Teilgruppen gerecht wird.

Hierfür bietet die Masterarbeit von Stefan Leuthmetzer (2020) eine geeignete Ausgangsbasis. Er hat auf Grundlage aktueller Forschungen eine Perspektive auf Fans entwickelt, die von deren Interessen- und Motivationslagen ausgeht. Er hat die Bedürfnisse von Zuschauer*innen und Fans in den Blick genommen und den Grad ihrer Fußballidentifikation mit Anforderungen an Partizipation verbunden:

Es zeigt sich, dass vor allem Supporter und Ultras stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden möchten, was von Vereinen und Verbänden stärker berücksichtigt werden muss. Parallel dazu verliert Leuthmetzer nicht den Blick auf Zuschauer*innen und Fans, die z. B. nur gelegentlich in ein Fußballstadion gehen oder die Bundesliga über andere Medienformate konsumieren.

Auf unterschiedliche Bedürfnisse muss mit unterschiedlichen Formaten reagiert werden.

Wir empfehlen …

… die Berücksichtigung der Interessen von Supporter und Ultras als Adressat*innen lokaler und bundesweiter institutionalisierter Dialog-Formate (Club-Fan-Dialog, Kommission Fans & Fankulturen).

… eine Neu- und Weiterentwicklung von Formaten zur Berücksichtigung der Interessen aller Teilgruppen von Fans und Zuschauer*innen entsprechend ihrer Interessen und Bedürfnisse (z. B. durch jährliche Fan-Umfragen).

Neufassung Club-Fan-Dialog

Live-Fans, Supporter und Ultras sind Expert*innen für den Stadionbesuch und gestalten den Publikumssport Fußball mit. Sie sind es, die regelmäßig und über lange Zeit Fußballspiele ihres Vereins besuchen und Fußball zum soziokulturellen Ort werden lassen. Ein konstruktiver Dialog zwischen Fans und Vereinen ist wichtig, um zu einem besseren Verständnis zwischen Fans und Vereinen beizutragen, Faninteressen verbindlich zu berücksichtigen und das Kulturgut Fußball zu schützen.

Bisher sind Vereine der DFL lediglich aufgefordert, „sich nach besten Kräften zu bemühen, mit Vertretern seiner organisierten Fanszene einen offenen, regelmäßigen und verbindlichen Dialog zu etablieren“ (§5 Abs. 11 der LO DFL). Bis heute sind keine Kriterien für die Umsetzung des „verbindlichen Dialogs“ festgelegt. Es obliegt den Vereinen, wie der Club-Fan-Dialog geführt und ob er als gelungen bewertet wird. Die Folge ist, dass er mancherorts kaum mehr als eine „Alibiveranstaltung“ ist. Für die 3. Liga gibt es bis heute überhaupt keine entsprechende Verpflichtung der Vereine, einen Club-Fan-Dialog zu führen.

Wir empfehlen …

… die Anpassung der Lizenzierungsordnung der DFL durch eine Neufassung des §5 Nr. 11 LO, die Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit garantiert.

… die Ergänzung des §5 Nr. 11 LO DFL um eine Anlage, in der die Anforderungen an den CFD – insbesondere: Struktur und Besetzung – verbindlich geregelt sind.

… eine entsprechende Verankerung der Regelungen in den Statuten der 3. Liga.

Für einen verbindlichen, effektiven und zielgerichteten Dialog zwischen Fans und Verein ist es notwendig, einen verpflichtenden Rahmen für den CFD vorzugeben. Es bedarf einer einheitlichen, übergeordneten Struktur des CFD bei allen Vereinen der 1.- 3. Liga. Fans müssen in dieser Struktur als aktiver und gleichwertiger Teil anerkannt und berücksichtigt werden. Es ist schließlich ein Club-Fan-Dialog und kein Club-Dialog.

Kommission „Fans & Fankulturen“

Aktuell sollen Faninteressen auf bundesweiter Ebene in der AG Fankulturen berücksichtigt werden. Die AG Fankulturen ist strukturell unterhalb der DFB-Kommission „Prävention & Sicherheit & Fußballkultur“ angesiedelt. Die Geschäftsführung obliegt der DFL. Die AG Fankulturen wird als „Beratungs- und Kompetenzgremium“ der Verbände verstanden.

An der AG Fankulturen nehmen bundesweite Interessenvertretungen von Fans und Vertreter*innen der professionellen Fanarbeit teil. Aus verschiedenen Gründen sind bisher nicht alle bundesweiten Fanorganisationen und thematische Interessenvertretungen vertreten. Dies muss sich durch eine Aufwertung der AG Fankulturen und eine Neustrukturierung ändern.

Wir empfehlen …

… der Bedeutung von Fans und Fankulturen durch die strukturelle Aufwertung zum Status einer Kommission Ausdruck zu verleihen.

… die bundesweite Berücksichtigung von Faninteressen eigenständig und unabhängig von anderen Themenbereichen wie beispielsweise „Sicherheit“ zu verankern.

… unterhalb der Kommission Fans & Fankulturen weitere Dialog-Formate wie eine AG Verband-Fan-Dialog, AG Kommunikation Verband-Fans und das Forum Club-Fan-Dialog zu verankern.

Die Kommission Fans & Fankulturen wird so zum übergeordneten Beratungs- und Kompetenzgremium der Verbände für alle Fanangelegenheiten. Die Verbände DFB und DFL verpflichten sich, die Kommission Fans & Fankulturen bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen, die mittelbar oder unmittelbar Fans und/oder Fankulturen betreffen. Die von DFL und DFB unabhängigen Mitglieder der Kommission sind gegenüber den Verbänden nicht weisungsgebunden.

Die neu zu gründende AG Verband-Fan-Dialog bildet die Entsprechung des lokalen Club-Fan-Dialogs auf Verbandsebene. Ziel ist ein verbindlicher, effektiver und zielgerichteter Dialog zwischen bundesweiten Fanorganisationen als Dach lokal organisierter Fans mit den Verbänden zu fanrelevanten Themen.

Die neu zu gründende AG Kommunikation Verband-Fans bietet ein niederschwelliges und punktuelles Kommunikationsformat zwischen Verbänden und Fans. Die Besonderheit: Es wird keine kontinuierliche oder verbindliche Mitarbeit in Verbands- oder Vereinsgremien vorausgesetzt.

Die vollständige Langfassung dieses Konzeptes steht als PDF zum Download bereit: